Europa muss eine Wege gehen

Europa muss eigene Wege gehen

Wie die EU mit dem Data Act, offenen Standards und neuen Technologien ihre digitale Unabhängigkeit sichern will.

Warum das Thema jetzt entscheidend ist

Digitale Souveränität ist längst keine politische Vision mehr, sondern ein wirtschaftlicher Imperativ. Sie beschreibt die Fähigkeit Europas, über Daten, Technologien und digitale Infrastrukturen eigenständig zu verfügen – unabhängig von globalen Anbietern. Ziel ist es, Sicherheit, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu vereinen.

Die IT-Beratung Adesso benennt sechs Schlüsselfelder: Hardware, Software, Cybersicherheit, Datenmanagement, Cloud und Künstliche Intelligenz. In all diesen Bereichen hängt Europa bislang stark von außereuropäischen Technologien ab – von amerikanischen Cloud-Diensten über asiatische Chips bis hin zu proprietären Software-Ökosystemen.

Diese Abhängigkeiten führen zu Risiken: Lieferengpässe bei Halbleitern, rechtliche Unsicherheiten durch Gesetze wie den US-Cloud-Act oder Exportbeschränkungen zeigen, wie verwundbar digitale Volkswirtschaften sind. Der T-Systems-Chef Ferri Abolhassan bringt es auf den Punkt: „In einer Zeit, in der Daten das neue Gold sind, darf sich Europa nicht von außen regulierten Plattformen abhängig machen. Wir müssen wieder Herr unserer Daten werden.“

Der Data Act als Grundpfeiler europäischer Souveränität

Mit dem Data Act, der seit dem 12. September 2025 gilt, schafft die Europäische Union den rechtlichen Rahmen für mehr Datenfreiheit. Unternehmen sind verpflichtet, Daten aus vernetzten Geräten und Diensten in standardisierten Formaten bereitzustellen und den Wechsel zwischen Cloud-Anbietern zu ermöglichen. Das Ziel: ein europäischer Datenbinnenmarkt, der Innovation fördert, ohne Datenschutz oder Interoperabilität zu gefährden.

Für die ITK-Branche bedeutet das tiefgreifende Veränderungen. Cloud-Anbieter müssen ihre Systeme so gestalten, dass Kunden Daten einfach exportieren und migrieren können. Hersteller vernetzter Geräte müssen standardisierte Schnittstellen schaffen. IT-Dienstleister wiederum sind gefordert, ihre Verträge auf Datenschutz und Haftung anzupassen.

Europäische Projekte und Investitionen

Parallel dazu investiert die Bundesregierung in Projekte, die technologische Eigenständigkeit fördern sollen. Initiativen wie GAIA-X, Sovereign Cloud Stack (SCS), openDesk oder openCode stehen für offene Standards, Interoperabilität und Transparenz. Auch die Mikroelektronik rückt in den Fokus: Während das Intel-Werk in Magdeburg abgesagt wurde, baut TSMC in Dresden eine neue Chipfabrik, die 2027 in Betrieb gehen soll.

In der Künstlichen Intelligenz plant die EU gleich fünf sogenannte Giga-Fabriken für die Entwicklung und das Training eigener Modelle – mit einem Gesamtbudget von vier Milliarden Euro. Ziel ist ein verlässlicher, europäischer Standort für KI-Entwicklung.

Was das für Unternehmen bedeutet

Für Unternehmen markiert diese Entwicklung einen Wendepunkt. Wer bislang auf globale Cloud-Strukturen oder proprietäre Software gesetzt hat, muss seine Strategie überdenken. Die Nachfrage nach europäischen Alternativen wächst – besonders bei öffentlichen Auftraggebern, Energieversorgern und Industrieunternehmen aus kritischen Infrastrukturen.

Empfohlen wird eine sogenannte Souveränitätsanalyse, um zu prüfen, welche Systeme und Plattformen von nicht-europäischen Anbietern stammen und wie austauschbar sie sind. Das Ziel ist nicht Abschottung, sondern Kontrolle: die Fähigkeit, Alternativen aufzubauen und Wechselkosten zu reduzieren.

Offene Standards und Open Source spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie ermöglichen Transparenz, Überprüfbarkeit und Unabhängigkeit von einzelnen Herstellern. In vielen Bereichen – von Cloud-Lösungen über Datenanalyse bis Bürosoftware – stehen bereits ausgereifte Open-Source-Alternativen zur Verfügung.

Know-how, Kooperation und Förderung

Digitale Souveränität ist nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch des Wissens. Unternehmen sollten internes Know-how zu Open-Source-Lizenzen, Cloud-Compliance und Datenhoheit gezielt aufbauen. Zudem gewinnen europäische Kooperationen an Bedeutung: Förderprogramme wie das IPCEI on Cloud Infrastructure and Services oder GAIA-X eröffnen Chancen zur Beteiligung an europäischen Referenzarchitekturen.

Am 18. November findet in Berlin der Europäische Gipfel zur digitalen Souveränität statt – mit rund 900 Teilnehmern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Ziel sind konkrete Beschlüsse zur Stärkung der europäischen Technologiebasis in den Bereichen Cloud, KI und Halbleiter. Parallel dazu tritt der AI Act in seine operative Phase ein und macht digitale Souveränität erstmals messbar.

Fazit

Europa will und muss eigene Wege gehen. Der Data Act, offene Standards und neue Industrieinitiativen sind nur der Anfang. Für Unternehmen bedeutet das: Strategien prüfen, Abhängigkeiten reduzieren und europäische Alternativen aktiv integrieren. Wer jetzt handelt, sichert sich nicht nur mehr Sicherheit und Kontrolle – sondern auch langfristige Wettbewerbsfähigkeit in einem zunehmend digitalen Europa.